Meine zweite Fotosequenz (2)
„Das Federkleid ist bräunlich und noch etwas gefleckt. Möwen brauchen einige Jahre, bis sie ausgefärbt sind. Es handelt sich also um einen jüngeren Vogel. Aber irgendwas ist komisch. Was hast Du da wieder mit der Bildbearbeitung gedreht?“
Meine jüngere Tochter kennt sich mit der Tier- und Pflanzenwelt an den Küsten Norddeutschlands aus. Sie betrachtet die Bildsequenz und versucht, die Möwe genauer zu bestimmen. Ich erkläre ihr, dass ich den Schnabel aus ästhetischen Gründen verschönert habe. Im Originalfoto ist der Schnabel hässlich gräulich schwarz gefärbt und wegen der Bewegung auch nicht ganz scharf. Ich wollte eine typische Möwe darstellen, so wie ich sie von anderen Fotos kenne.
Ich zeige ihr die Originalbilder. Diese gefallen ihr wesentlich besser als meine Kreationen, mit denen kein Naturkundler etwas anfangen kann. Darf ich für meine Zwecke derartig in die Natur eingreifen?
Die mit einem Krebs kämpfenden Möwe hatte ich an der Schleimündung in Schleswig-Holstein fotografiert. Ich machte mit meiner Frau eine kleine Wanderung an der Schlei von Maasholm bis zur Ostsee. In dem etwas sumpfigen Abschnitt hatte die – wie ich jetzt weiß – junge Möwe den Krebs entdeckt. Vielleicht hätte sich eine erfahrener Vogel erst gar nicht in diese peinliche Situation gebracht?
Schnabel und Auge gefielen mir im Original nicht. Ich malte den Schnabel nach der Vorlage einer anderen Möwe gelb und zog die Konturen nach. Das Auge übernahm ich ebenfalls aus der anderen Aufnahme. Den auf dem Wasser schwimmenden Schlamm entfernte ich.
Wenn der Betrachter die Bildsequenz anschaut, soll der Blick auf die Möwe gelenkt und nicht von einem unruhigen Vordergrund abgelenkt werden. Die Bewegung der Wasseroberfläche muss jedoch auch in der Sequenz erkennbar sein, aber der Vordergrund darf nicht zu stark von Bild zu Bild variieren. Also gestalte ich die Algen auf allen Bildern einheitlich. Nur die Wasseroberfläche um die Möwe wellt sich leicht. Das ist u.a. wegen der unterschiedlichen Bewegungen des Vogels und des komplexen Schattenwurfs auf der Wasseroberfläche nötig. Aber Tonwerte und Farbe müssen übereinstimmen. Das erste Foto der Sequenz habe ich als Grundlage für den Vordergrund der gesamten Sequenz verwendet.
Mit dem stieren Blick und dem schöneren Schnabel gefällt mir die Möwe in der helleren Umgebung wesentlich besser.
Im letzten Foto der Sequenz hängt der Krebs mit der zugeschnappten Schere am oberen Schnabel. Der Schnabel der Möwe und die geschlossene Schere des Krebses sind im Originalfoto nicht zu unterscheiden. Schnabel und Schere haben die gleiche Farbe. Außerdem sorgt die Unschärfe dafür, dass dieser wichtige Teil des Bildes zu einem einheitlichen Brei verschwimmt.
Mit Verformungen und Pixelmalen habe ich versucht, diese Szene deutlicher wiederzugeben. Ich verwendete dafür ein anderes Foto mit einem deutlicher erkennbaren Krebs.
Bei meinen Eingriffen in das Originalfoto hatte ich schon manchmal Skrupel, ob ich das so machen darf. Ich zerstreute meine Bedenken aber mit dem Gedanken, dass ich ja keine Dokumentation oder Reportage erstelle. Ich möchte spannende Vorgänge in der Natur möglichst schlüssig und in hoher Qualität darstellen.
Ich will ja auch gar nicht den Anschein erwecken, dass meine Bilder authentisch sind. Viel Ärger und Verständnisprobleme entstehen dadurch, dass Fotos verändert werden und dieses Vorgehen aber gegenüber dem Betrachter vorsätzlich verschwiegen wird. Das hat zu stark zunehmendem Misstrauen gegenüber Fotografen geführt. Im Artikel „Authentisch – also gut?“ gehe ich auf diese Probleme gründlicher ein (zum Artikel).
Es kann doch nicht verwerflich sein, wenn ich den Bewegungsauf in der Natur möglichst deutlich und in hoher Qualität darstellen möchte. Oder doch?