Die Weltmaschine des Franz Gsellmann –
Wimmelbilder fotografieren (1)

22.02.2017     Kommentare geschlossen

„Die Weltmaschine kann man gar nicht fotografieren.“ Dieser Gedanke geht mir immer wieder durch den Kopf. Ich versuche in einem engen Raum, ein farbenprächtiges kurioses Wunderwerk zu fotografieren. Und wenn die verwirrende technische Konstruktion beginnt, ihren wilden Tanz aufzuführen, kann man sie schon gar nicht mehr mit der Kamera erfassen. Wie soll ich diese wuselnden Bewegungen, das Drehen, Schütteln, Heben und Fallen, wiedergeben?

Weltmaschine; Foto: Gery Wolf

Weltmaschine; Foto: Gery Wolf

Dazu kommen unterschiedlichste Leuchteffekte, glimmende, funkelnde und blinkende Lichter in den verschiedensten Farben. Und dann gibt es auch noch eine Geräuschkulisse, die man schon gar nicht auf ein Foto bannen kann. Das fröhlich bemalte Prachtstück knarzt, summt, klappert und pfeift aus allen Richtungen.

Im Fotokurs hatte ich gelernt, dass ich das Motiv deutlich vom Hintergrund absetzen soll. Das will mir bei der Weltmaschine von Franz Gsellmann nicht gelingen. Daher zeige ich hier erst mal ein offizielles Pressefoto.

Aber auch bei diesem Foto handelt es sich um ein Wimmelbild. Doch eines nach dem anderen. Wie kam ich zur Weltmaschine?  Und was hat es mit einem Wimmelbild auf sich?

Blick über das Land

Blick über das Land

Im Oktober 2008 besuche ich eine Touristenattraktion der Steiermark in der Gemeinde Edelsbach bei Feldbach. Vom Hotel im Graz fahre ich eine gute halbe Stunde zu Gsellmanns Weltmaschine.

Vom Parkplatz vor dem Haus habe ich einen schönen Blick über die hügelige Landschaft.

An dem Wohnhaus ist zunächst nichts Besonderes erkennbar. Nur der große Parkplatz, von dem gerade drei Busse wegfahren, fällt in dieser ländlichen Gegend auf.

Wohnhaus mit der Weltmaschine

Wohnhaus mit der Weltmaschine

Das Schild über dem Eingang des kleinen Anbaus lässt keinen Zweifel zu. Hier geht es zur Weltmaschine. Das wirkt alles etwas sonderbar. Auf einem handgeschrieben Zettel, der hinter das Sicherungsgitter geklemmt wurde, steht: Bitte läuten. Das mache ich und nach kurzer Zeit öffnet mir eine freundliche Dame. Sie kommt vom Nachbarhof und führt die Weltmachine bereits seit sieben Jahren vor, erklärt sie mir. Nachdem ich die drei Busse gesehen hatte, frage ich, ob wir noch auf weitere Gäste warten sollten. Ich kann es kaum glauben, aber für drei Euro Eintritt erhalte ich eine Einzelführung von ihr.

Eingang zur Weltmaschine

Eingang zur Weltmaschine

Sie öffnet die Tür und ich sehe ein technisches Gewusel, das eng gepackt die linke Seite des Raums ausfüllt. Der erste Eindruck bei mir: alles wirkt wahnsinnig bunt, sauber und gut gepflegt. Herr Gsellmann hatte anscheinend eine Vorliebe für die RGB-Grundfarben. Rot, grün und blau herrschen vor. Nur das globusförmige zentrale Element wird auch mit gelben Ringen umfasst. Wie ich später erfahre handelt es sich um Hula-Hoop-Reifen.

Ich kann es kaum glauben, was ich da sehe. Gsellmann hat die unterschiedlichsten Teile zu einem Gesamtwerk zusammengebaut. Ich erkenne in dem Wirrwarr  Zündkerzen, Wasserhähne, Lampenschirme, Motoren und eine Trockenhaube, einen Handstaubsauger sowie eine Waschtrommel. Und auch der Gegenstand, der Auslöser für Gsellmanns Treiben war: ein Atomiummodell von der Weltausstellung in Brüssel. Die Vorführerin setzt die Weltmaschine in Gang und ich blicke überhaupt nicht mehr durch. Zuerst bewegt sie sich gemächlich aber dann wird sie begleitet von Licht und Ton immer schneller. Ich kann die Maschine nur insgesamt auf mich wirken lassen.

Und was ist jetzt mit dem Fotografieren? Zunächst versuche ich die gesamte Anlage im Stillstand und dann in Bewegung mit unterschiedlichen Belichtungszeiten zu erfassen. Es entstehen Wimmelbilder, die ein sich bewegendes Durcheinander einer großen Anzahl von Objekten wiedergeben. Die Fotos sind entsprechend komplex und vielfältig, also so, wie man sie als guter Fotograf meist nicht haben möchte. Übrigens: In der englischen Sprache gibt es anscheinend keinen entsprechenden Begriff, so dass dort das deutsche Wort verwendet wird.

Schalenset

Schalenset

Ich will trotzdem versuchen, Motive vom Hintergrund zu trennen und konzentriere mich auf die Bauteile.

Besonders auffällig ist ein Set von orangefarbenen Schalen, die wohl für Knabbergebäck vorgesehen waren.

Gsellmann verzierte eine alte Schrankuhr mit Metronom, Mercedes-Stern, Atomiummodell und einem propellerartigen Gebilde.

Gsellmann sah ein Kind in der Umgebung mit einer Mondrakete spielen. Da sie nicht mehr nach Europa ausgeliefert wurde, bestellte er sie in einem Grazer Spielzeuggeschäft aus Japan.

Bei der Vorführung der Weltmaschine öffnet sich die Luke der Mondrakete.

Schrankuhr mit Zubehör

Schrankuhr mit Zubehör

Im nächsten Beitrag berichte ich über das ungewöhnliche Leben von Gsellmann und wie er sich im Alter von 48 Jahren von einem Landwirt zu einem – ja was? – Tüftler, Kunsthandwerker, Künstler… verwandelte. Ein Umbruch seines ländlich sittlichen Lebens, wie er extremer nicht sein kann. Das führte natürlich zu totalem Unverständnis in der Familie und der Dorfgemeinschaft. Es kostete ihn sehr viel Kraft trotz der Anfeindungen, seine Vision nachhaltig weiter zu verfolgen.

Spielzeugrakete mit geöffneter Luke

Spielzeugrakete mit geöffneter Luke

Spielzeugrakete

Spielzeugrakete

Als seine Weltmaschine über die Grenzen der Steiermark hinaus bekannt wurde, lernte er andere Heraus-forderungen kennen. In dem Buch von G. Roth „Gsellmanns Weltmaschine“ schildert der Fotograf F. Killmeyer eine typische Begebenheit, wie sie auch Lottogewinner kennen, wenn plötzlich viele neue Freunde versuchen sie auszunutzen. Ein Pfarrer machte Gsellmann den – aus meiner Sicht – unchristlichen Vorschlag, sein Lebenswerk zu verkaufen und mit dem Erlös die Kirche zu renovieren. Das lehnte sogar der gottesfürchtige Schöpfer der Weltmaschine ab (zum Folgebeitrag über die Weltmaschine).