Das hat mit Fotografie nichts mehr zu tun
Als ich einigen Besuchern technische Fragen zur Langzeitbelichtung erläuterte, unterbrach mich eine interessierte Zuhörerin mit einem etwas skeptischen Gesichtsausdruck: „Das hat mit Fotografie nichts mehr zu tun!“. Wir betrachteten mein Bild „Schwimmhalle“ auf der Eröffnung der Ausstellung „21. Deutsche Fotoschau“, zu der die Gesellschaft für Fotografie eingeladen hatte.
In der Ausschreibung zum Wettbewerb stand, dass alle am Computer bearbeiteten, eingefügten oder verfremdeten Bildteile von eigenen Fotos aus dem Jahr 2014 stammen müssten. Digitale Bearbeitung und Fotomontagen waren also erlaubt. Bei weiteren Gesprächen wurde mir klar, dass viele Besucher bei einer Einladung zur Fotoschau „reine Fotografie“ erwarten. Sie empfinden digitale Bearbeitungen als Manipulation und unfair gegenüber den traditionellen Fotografen, die häufig mehr Zeit beim Fotografieren investieren müssen. Schnelle Retuschen am PC sind aus ihrer Sicht unseriös.
Ich schilderte in den Diskussionen die Vorteile des technischen Fortschritts. Für mich zähle nur das Ergebnis, letztlich die Bildaussage beim Betrachter. Und beim Bild „Schwimmhalle“ sei ohnehin offensichtlich, dass es nicht mit dogmatisch reiner Fotografie entstanden sein könne. Ich überzeugte wohl keinen der traditionellen Zuhörer. Bei vielen Betrachtern geht der Herstellungsprozess in die Bewertung der Qualität ein.
In der Szene der Naturfotografen ist die digitale Bildbearbeitung nur in sehr engem Rahmen gestattet. Bei Wettbewerben führt diese Einschränkung zu detaillierten Katalogen, in denen beschrieben wird, wie stark die Funktionen von Photoshop angewendet werden dürfen. Als die digitale Fotografie aufkam, gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen Verfechtern der Analogtechnik und den Fotografen, die die neuen Möglichkeiten für ihre kreative Entfaltung entdeckten.
Einen besonders interessanten Vergleich zwischen analog und digital führte die Zeitschrift DOCMA durch, die im Heft 3/09 zwei Zeichner gegeneinander antreten ließ. Unter dem Titel „Bleistift gegen Photoshop“ wurde dokumentiert, wie Bilder nach der gleichen Porträtvorlage auf den unterschiedlichen Wegen entstanden, analog mit einem Bleistift auf Papier und digital mit Stift und Grafiktablett auf einem Monitor. Bei den in der Zeitschrift abgedruckten Bildern konnte ich keine wesentlichen Unterschiede erkennen.
Extreme Differenzen gab es jedoch beim Aufwand. Der Digital Artist benötigte 15 Stunden und der Zeichner auf herkömmlichem Weg 140 Stunden. Und dieser Fleiß, der mit fast 10-fachem Aufwand verbunden ist, muss doch irgendwie belohnt werden?
Anscheinend fehlt es aber auch an treffenden Begriffen für die neuen Techniken. Ich finde keine gängige Bezeichnung für den Herstellungsprozess und das Produkt. Digitale Bildbearbeitung, Bildmanipulation (böse), Bildmontage, Composing, digitales Malen, digitales Matte Painting, digitale Bildkunst, Digiart, Computerkunst… Für digital bearbeitete Bilder, die ausschließlich aus Fotoinhalten bestehen, versuche ich es zukünftig mal mit dem Begriff „Fotobild“.
Wie bezeichnet man aber Bilder, die zwar überwiegend aus Fotomaterial bestehen, in denen ich aber auch digital gemalt habe?
Im Bild „Fotografen-Falle“ habe ich den Vordergrund mit Photoshop-Werkzeugen gezeichnet. Nur die Person stammt von einem Foto. Wie könnte man solche Bilder auch zutreffend für die Betrachter benennen, denen der Herstellungsprozess wichtig ist?