Inszenierte Fotografie
Als ich den Titel der Ausstellung „Inszeniert! – Spektakel und Rollenspiel in der Gegenwartskunst“ das erste Mal hörte, interessierte ich mich nicht weiter dafür. Die Ankündigung der Kunsthalle München klang nach Theater. Von Gérard Pleynet, meinem ehemaligen Dozenten eines Fotokurses, erhielt ich dann aber zwei Wochen vor Ende der Ausstellung den Hinweis, dass auch Bilder bekannter zeitgenössischer Fotografen gezeigt werden. Nan Goldin, Andreas Gursky, Cindy Sherman und Jeff Wall wollte ich sehen. Letzte Woche besuchte ich die Ausstellung.
Die Schau hat mir letztlich sehr gefallen, aber in ganz andere Weise, als ich es erwartet hatte. Von den großen Namen der Fotografie beeindruckten mich bisher meist die Bilder von Andreas Gursky und Cindy Sherman. Diesmal gefiel mir jedoch ein Künstler ganz besonders, von dem ich vorher noch nicht gehört hatte.
Das Paradebeispiel für Inszenierung ist Cindy Sherman. Ihre Selbstporträts in unterschiedlichsten Verkleidungen haben mich in der Vergangenheit immer wieder beeindruckt. Ich erinnere mich an ein Bild von ihr auf einer Ausstellung in der Villa Stuck, das durch die Beleuchtung sehr geschickt in Szene gesetzt war. Die abgebildete festlich gekleidete ältere Frau schien im Ausstellungsraum anwesend zu sein. Ich suchte nach der Hintergrundbeleuchtung und fragte einen Angestellten des Museums danach. Er versicherte mir, dass das Bild nur von vorn beleuchtet würde und kein versteckter Leuchtkasten existiere. Da ich ihn wohl immer noch zweifelnd ansah, schaltete er die spezifischen Strahler aus und das Bild hatte viel von seiner starken Aussage verloren. Damit bestätigte sich wieder für mich: Ohne das passende Licht ist die Fotografie bedeutungslos.
Die Bilder von Cindy Sherman in der Kunsthalle haben mich nicht so sehr angesprochen. Ich fand sie nicht so prägnant. Auch die zwei Besucherinnen auf meinem Foto verweilten nicht lange vor den Bildern. Vielleicht ist das Foto ganz rechts „Ohne Titel #217“ auch etwas abschreckend. Es zeigt eine junge Frau mit dem Make-up eines Clowns, deren merkwürdiges Lächeln sehr schlechte Zähne entblößt.
Andreas Gursky inszeniert seine Fotos durch digitale Bearbeitung und Montagen sowie großformatige Darstellungen. Er war mit einem Bild vertreten. In „Union Rave“ stellt er in einem Format von ca. 2 mal 3 Meter Jugendliche auf einem Musik-Event dar. Das Bild wirkt zwar durch die Größe schon besonders, es hat auf mich aber keinen überraschend neuartiger Eindruck gemacht.
Bilder von Gursky kann nicht jedes Museum sein eigen nennen. Die fast 90 Exponate der Ausstellung stammen aus der Sammlung Goetz, der größten Privatsammlung zeitgenössischer Kunst in Deutschland mit mehr als 5000 Werken, u. a. über 1000 Fotografien. Ingvild Goetz ist eine Tochter von Werner Otto, der den Erfolg des Versandhandels begründet hat. Die Werke von Gursky erzielen auf dem Kunstmarkt Spitzenpreise. Das Bild „Union Rave“ wurde auf 6 Exemplare limitiert und erreicht sechsstellige Dollar-Beträge. Aber selbst für die Sammlung Goetz dürften die finanziellen Möglichkeiten für die Spitzenbilder von Gursky, deren Preise heute in die Millionen gehen, begrenzt sein.
Ich habe die Sammlung Goetz einmal im Rahmen einer gesondert organisierten Führung und ein zweites Mal an einem Tag der offenen Tür besucht. Für Privatpersonen ist der Zugang zum Museum etwas aufwändig, da man sich vorher anmelden muss. Im Jahr 2014 schenkte Ingvild Goetz das Museumsgebäude und einige Werke dem Land Bayern. Den überwiegenden Teil der Sammlung stellte sie drei bayerischen Museen als Dauerleihgabe für zunächst 10 Jahre zur Verfügung. Vielleicht wird damit in Zukunft der Zugang zum Museum für Privatpersonen einfacher.
Wie inszeniert Jeff Wall seine Fotos? Viele seiner Bilder wirken im ersten Moment wie normale Alltagsszenen. Wenn ich die Fotos jedoch etwas länger betrachte, kommen sie mir immer merkwürdiger vor. Bei den Personen fällt zum Beispiel der starre Blick oder eine ungewöhnliche Geste auf.
Jeff Wall inszeniert alltägliche Szenen mit immensem Aufwand, er imitiert die Wirklichkeit. Zusätzlich nutzt er die Möglichkeiten von Fotomontagen. Die Bilder zeigt er meist mit der typisch eindringlichen Wirkung von Leuchtkästen. Eine Grundvoraussetzung, die vielfach für künstlerisches Schaffen gefordert wird, ignoriert er. Er arbeitet nicht in Serien, sondern erstellt voneinander unabhängige Werke.
Im Bild „Restaurierung“ zeigt er Restauratoren bei der Arbeit am über 100 Meter langen Bourbaki-Rundpanorama in Luzern. Es bildet eine Szene aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 ab. Großpanoramen waren Sensationen der Vorkinozeit, die häufig mit einer Geräuschkulisse hinterlegt wurden.
Bei dieser Fotografie hat Wall untypisch wenig inszeniert. Der große Teil der Inszenierung ergibt sich aus dem Inhalt des Panoramas selbst. Aber zusätzlich zu der fototechnischen Inszenierung mit Ausschnitt, Tonwerten usw. bringt Wall sich durch die Stellung der Personen ein. Zwei der Restauratorinnen schauen wie geistesabwesend in die Leere. Damit stellt das Bild eine doppelte Inszenierung dar.
Das Bild hat mich sehr beeindruckt. Zunächst dachte ich, dass die Elemente des Fotos nicht zusammenpassen. Ich sah das Gemälde zuerst als realen Hintergrund, der aber nicht zu den Personen und der zentralen Plattform passte. Der kleine Fensterausschnitt im oberen Teil war für mich der Ankerpunkt, von dem aus sich alles schlüssig zusammenfügte.
Als ich im Jahr 1997 in Luzern war, wollte ich das Rundpanorama besuchen. Es war wegen der aufwändigen Restaurierungen und Bauarbeiten geschlossen. Jeff Wall hatte das Panorama im Jahr 1993 fotografiert. Im Jahr 2000 wurde der Neubau eröffnet.
Der belgische Künstler Hans Op de Beeck hat mir am besten gefallen, obwohl er keine Fotos, sondern ein Video zeigte. Es war aber ein sehr langsamer Film, der mit seinen vielen Standbildern quasi auch Fotografien präsentierte. Während der gesamten 20 Minuten von „Staging Silence (2)“ ist die Kamera fix auf die Oberfläche eines 1 mal 1 Meter großen Tisches gerichtet.
Am Anfang sieht man zwei Handpaare, die jeweils eine Apfelsine schälen und einzelne Stücke zum nicht im Bild sichtbaren Mund führen. Doch dann räumen die Hände den Esstisch leer und sie platzieren Miniaturbäume auf der Oberfläche. Die Platte wird vollständig mit hellem Sand (wahrscheinlich Zucker) bestreut, in den die Hände mit einem Pinsel vorsichtig einen Weg und kleine Wasserflächen formen.
Während des Aufbaus kippte bei mir der Anblick einer fleckigen Tischoberfläche in einem kurzen Augenblick – wie wenn ein Schalter umgelegt wurde – zu einem Landschaftsbild. Der Tisch war vergessen und ich sah das Abbild einer inszenierten Realität.
Hans Op de Beeck führt auf der Miniaturbühne weitere Schauspiele auf. Aus Kunststoffflaschen oder Zuckerwürfeln entstehen Stadtlandschaften. Oder eine Fahrradfelge wird zum Riesenrad eines Jahrmarkts. Bei den einzelnen Szenen war ich immer wieder fasziniert von der perfekten Inszenierung. Auf einem Quadratmeter schafft Hans Op de Beeck beindruckende Illusionen (zum Video).
Auf der Ausstellung illustrierten auch Skulpturen und Installationen das Thema Schein und Sein. Davon habe ich aber nicht viel verstanden. Die Erläuterungen zu diesen Werken halfen mir nicht weiter. Ich kann meist wenig mit den fachlichen Erklärungen aus dem Kunstbetrieb anfangen. Vielleicht versuche ich zu nachdrücklich eine konkrete Bedeutung hinter den kunstvollen Worten zu finden. Aus meiner Sicht ist der Titel der Ausstellung „Inszeniert! – Spektakel und Rollenspiel in der Gegenwartskunst“ recht beliebig. Ich finde, dass alle Kunstwerke zu einem gewissen Anteil inszeniert sind.
Dies gilt ebenso in der Fotografie. Alle Fotos sind zu einem gewissen Grad inszeniert. Allein schon mit Ausschnitt, Bildwinkel und Belichtungszeit kann man ein Bild stark subjektiv prägen. Künstliche Beleuchtung steigert den Effekt. Wenn ein Porträtfotograf dann auch noch Personen arrangiert und ihnen wie bei Schauspielern Kleidung und bestimmte Gesten vorgibt, ist die Inszenierung perfekt.
Aber selbst in der Dokumentarfotografie gibt es arrangierte Fotos, die berühmt geworden sind. Das Bild „Loyalistischer Soldat im Moment seines Todes“ von R. Capa hat sich mir früh als abschreckendes Kriegsbild eingeprägt. Ebenso hat sich mir das Bild „Hissen der russischen Flagge auf dem Reichstag“ von J. Chaldej aus den Geschichtsbüchern eingebrannt. Beide Fotos sind inszeniert. In meinem Artikel „Authentisch also gut?“ beschreibe ich diese Beispiele ausführlicher und versuche Antworten auf die Frage nach der Wahrheit in der Fotografie zu finden (zum Artikel).
Im nächsten Blog-Beitrag zeige ich eigene Beispiele der Inszenierung in der Fotografie. Bei mir läuft das natürlich mit den Mitteln der digitalen Bildbearbeitung in Lightroom und Photoshop. Um die Veränderungen zu veranschaulichen, demonstriere ich die Effekte mit einer Vorher-Nachher-Darstellung.